VolkoV schrieb:Ich vertrete eh die Meinung, dass wir uns ständig neue Charaktere aussuchen, nur um uns dann wieder selber zu spielen. Die wenigsten haben Lust auf "echt" andere Rollen.
Jetzt melde ich mich mal als Tischrollenspieler, der (noch) kein Larper und daher voller Illusionen und Idealismus ist, zu Wort. Ich glaube, dass wir unser eigenens Wesen im Tischrollenspiel wesentlich besser ausblenden können als beim LARP. Das hat folgende Gründe:
1. Keiner kann "aus seiner Haut". Das heißt, wo die Haut, also der Körper, in Aktion tritt nimmt sie das Wesen immer ein Stück mit. Körperliche Funktionen lassen sich nicht "wegspielen". Ich habe zum Beispiel eine Spinnenphobie. Ich kann nicht sagen: "Ich bin jetzt Alrigio di Pomeranza und schalte meine Angst vor Spinnen jetzt mal für einen Con ab." Jeder Live-Charakter den ich je erstellen werde verfügt zwangsläufig über Angst vor Spinnen, Höhenangst und Angst vor Gewitter, ob ich jetzt einen regeltechnischen Gegenwert dafür bekomme oder nicht.
2. Aus vergleichbaren Gründen ist man auch in gewisser Weise an Typen gebunden. Wenn ich mein erstes LARP dermaleinst besuche werde ich bestimmt keinen Berufskämpfer darstellen. Ich wäre mangels Erfahrung unsicher und dementsprechend auch unauthentisch. Durch meine 1,64 m Körpergröße kommt eben der Conan-Stereotyp als Richtschnur für mich nicht in Frage.
3. Ihr könntet jetzt spitzfindig sagen "du redest ja von Professionen, nicht von Charakteren". Stimmt. Aber jeder Charakter hat einen Grund (oder mehrere Gründe) warum er das tut was er tut. Ich stelle es mir schwer vor, einen Charakter der von Verbitterung, Jähzorn und Rachsucht getrieben wird, darszustellen, ohne diesem eine kämpferische (oder zumindest wehrhafte) Profession zu verpassen. Das gilt übrigens auch für Systeme wie dem euren, indem die Profession keine regeltechnische Bedeutung hat: Irgendeinen Namen für meine Tätigkeit muss ich ja doch finden.
4. Aus gesagtem ergibt sich also, dass es nicht möglich ist, einen Charakter zu spielen, der einem selbst komplett unähnlich wäre. Das führt meiner Meinung nach dazu, dass man "Lücken" im Charakterkonzept unbewusst durch Selbst-Darstellung (im wahrsten Sinne des Wortes) schließt, wodurch der Charakter einem selbst wieder etwas ähnlicher wird. Nur geniale oder lächerliche Charaktere haben so viel Kraft, dass Sie ein wirklich bemerkenswertes Eigenleben entwickeln können, Aber selbst hierbei gilt, dass man eben in letzter Konsequenz doch nicht aús seiner Haut kann.
5. Zu guter letzt kommt jetzt der Stereotypenspieler ins Spiel. Er kommt sich besonders schlau vor, indem er Lücken im Charakterkonzept nicht mehr aus sich selbst heraus, sondern durch Rückgriff auf ein Stereotyp schließt. Damit erreicht er (subjektiv) eine größtmögliche Verfremdung von sich selbst, wird (objektiv) aber zu Landsknecht#34 oder Conan#11.
Der langen Rede kurzer Sinn: Es ist richtig, dass es eine obligatorische Schnittmenge zwischen Spieler und Charakter gibt, diese ist jedoch in den seltensten Fällen bewusst und gewollt ("Markus mit einem Schwert in der Hand"), sondern liegt in den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Liverollenspiels wohl verankert. Sage ich jetzt mal so. Als Tischrollenspieler der noch nie auf einem LARP war. Ihr müsst mich für bescheuert halten... Ich bin jetzt still.
Gruß, Perkeo